1. LSBTI*-WISSENSCHAFTSKONGRESS

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Steffi Unsleber

„Jedes Denkmal hat auch seine Schattenseiten“

Herr Professor Schwartz, was erwarten Sie sich als Vorsitzender des Fachbeirates der Bundestiftung Magnus Hirschfeld vom ersten LSBTI*-Wissenschaftskongress?

Zuallererst hoffe ich, dass der erste LSBTI*-Wissenschaftskongress, den die Bundesstiftung jetzt Ende November veranstalten wird, ein weithin sichtbares öffentliches Zeichen setzt. Ein Zeichen nicht nur für das vielfältige Engagement der Stiftung und ihrer Mitarbeiter, sondern vor allem dafür, dass die Stiftung ein organisatorisches Kraftzentrum sein kann und will. Sie möchte die vielen einzelnen Initiativen und Ideen der angesprochenen Gruppen bündeln und optimal vernetzen. Das ist die entscheidende dienende Funktion der Bundesstiftung.

Kann ein Wissenschaftskongress wie dieser auch in die Gesellschaft hineinwirken? Und wenn ja, wie?

Ja, sicher, der Kongress kann und soll in die Gesellschaft wirken. Denn es geht der Stiftung stets darum, Veränderungen zum Besseren für die Lebenssituationen von LSBTI* anzustoßen. Damit das möglichst breit geschieht, gibt es drei unterschiedliche, einander ergänzende Säulen der Veranstaltung. Gegenwärtige Erfahrungswelten stehen neben der geschichtswissenschaftlichen Frage, wie frühere Generationen mit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt umgegangen sind. Hinzu treten aktuelle rechtliche Gegebenheiten, die das Leben von LSBTI* heute prägen bzw. die künftige Verbesserungen in Richtung Gleichberechtigung betreffen. Das Themenfeld ist somit ebenso bunt wie der Kreis der Mitwirkenden. Das entspricht den Kernzielen der Bundesstiftung, neben Forschung stets auch Bildungsarbeit in emanzipativer Absicht in die Gesellschaft zu vermitteln bzw. die vielen existierenden gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Initiativen aus der Gesellschaft zu vernetzen und zu unterstützen.

Sie selbst arbeiten als Historiker derzeit an einem Forschunsgprojekt zur Geschichte der Sexualität in Deutschland 1965-2000. Wie sind Sie als Wissenschaftler auf den Themenbereich Sexualität beziehungsweise LSBTI* gekommen?

Mein Thema „Sexualität in Deutschland“ steht in einem Forschungszusammenhang im Institut für Zeitgeschichte München-Berlin, der sich mit für unsere Gegenwart bahnbrechenden „historischen Transformationen“, also grundlegenden Wandlungsprozessen unserer Gesellschaft beschäftigt. Die gibt es ja nicht nur im Bereich der internationalen Politik oder der Wirtschaft, sondern auch im Hinblick auf unseren soziokulturellen und politischen Umgang mit „unserer“ Sexualität, mit ihren Ausdrucksformen, ihrer sozialen Funktion oder den darauf bezogenen Geschlechterrollen. Die Tatsache, dass es die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld und auch dieses Forschungsprojekt im „Leuchtturm“ der deutschen Zeitgeschichtsforschung mittlerweile gibt, sagt einiges aus über den grundlegenden Wandel, den wir in den letzten Jahrzehnten gerade auch im Umgang mit LSBTI* erlebt haben. Ich selbst habe schon länger Forschungen zur sexualpolitischen „Reform-Zeit“ in der alten Bundesrepublik und der mittlerweile versunkenen DDR um 1970 betrieben. Diese älteren Ansätze konnten jetzt im IfZ beträchtlich ausgeweitet und gestärkt werden. Und ich freue mich, dass sich bei diesem Projekt meine berufliche Wissenschaftler-Neugierde und meine lebensweltliche Prägung recht gut zusammenfügen.

Was verbinden Sie mit dem Namen Magnus Hirschfeld - wann sind Sie persönlich diesem Namen erstmals begegnet?

Persönlich bin ich dem Namen Magnus Hirschfeld zuerst Ende der 1980er Jahre begegnet, als ich meine Doktorarbeit über „Sozialistische Eugenik“ in Angriff nahm. Damals war noch nicht so bekannt und klar wie heute, dass nicht nur Nazis oder andere Rechte, sondern gerade auch Sozialdemokraten und andere „Fortschrittliche“ in vielen Ländern der Welt Anhänger und Verfechter der Eugenik gewesen sind - einer Anwendungswissenschaft, die letztlich auf die Verhinderung der Nachkommenschaft von „Erbkranken“ zielte. Bekanntlich gab es Zwangssterilisation nicht nur in Nazi-Deutschland allein, sondern ebenso in der US-amerikanischen Demokratie und im sozialdemokratisch regierten Skandinavien. Was Deutschland vor 1933 angeht, so war auch Magnus Hirschfeld ein linker Anhänger der Eugenik, die er offensichtlich als ebenso „progressiv“ wahrnahm wie seine Sexualwissenschaft oder sein Eintreten für die Entkriminalisierung der Homosexualität. Dies festzustellen, nimmt Magnus Hirschfeld nichts von seiner großen historischen Bedeutung für die Emanzipation von LSBTI*. Aber man lernt, dass jedes „Denkmal“ auch seine Schattenseiten hat. Selbst ein „progressiver Held“ wie Hirschfeld verdient und verträgt Kritik - und die gibt es übrigens nicht nur wegen seines eugenischen Denkens. Nur wenn wir kritisch statt verklärend auf Vergangenes schauen, kann uns historische Erinnerung wirklich nützen. Ich hoffe, der Wissenschaftskongress der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld bringt uns nicht nur viele kritische Informationen zu Magnus Hirschfeld und zur historischen Perspektive auf LSBTI*-Vergangenheiten überhaupt, sondern ermuntert uns auch zu selbst-kritischen Fragen an unsere Gegenwart und an unser eigenes Denken und Handeln. Dazu bietet das Programm im Wechselspiel von Vergangenheits- und Gegenwartsfragen jedenfalls viel Ermunterung.

Prof. Dr. Michael Schwartz ist Vorsitzender des Fachbeirats der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld. Der Historiker ist Mitarbeiter des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin (IfZ). Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören unter anderem die Geschichte der Eugenik, der Sozialpolitik und der Sexualität.