1. LSBTI*-WISSENSCHAFTSKONGRESS

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Hans-H. Kotte

Arn Sauer

Antwort: Spätestens seit den ersten parlamentarischen Anfragen zum Transsexuellengesetz (TSG) im Jahr 2000 versucht die Trans*-Community offfiziell Einfluss auf die Politik und Gesetzgestaltung zu nehmen. Die Kritik am TSG ist so alt wie das Gesetz selber. Jedoch ist das Gesetz bisher immer nur dann geändert worden, wenn das Bundesverfassungsgericht seine Rechtswidrigkeit attestiert und Einzelbestimmungen außer Kraft setzt. Die Politik ist ausnahmslos untätig geblieben. Das hat meines Erachtens v.a. mit der Wahrnehmung als gesellschaftliches Randthema und mit einer unbewusst internalisierten Transphobie eine_s jeden_r Abgeordneten des Bundestages zu tun. Das Thema rührt an den Grundfesten der eigenen Geschlechtsidentität und das Wissen zu/über Trans* ist nicht genug verbreitet. Viel zu selten werden die betreffenden Trans*-Personen selber als Expert_innen in eigener Sache wahr und ernst genommen. Viel zu oft hingegen werden Mediziner_innen befragt, die oft nicht minder unbewusst, internalisiert transphob agieren. Um der Vielfalt von Geschlecht gewahr zu werden und sie als gesellschaftliche Diversität zu schätzen, statt sie unsichtbar zu machen oder als psychisch krank einzustufen, bedarf es nach wie vor immenser Aufklärungsarbeit, Sensibilisierung und Informationen. 
Das TSG ist Ausdruck einer veralteten auf Außeneindrücken von medizinischen Gutachter_innen und Politiker_innen beruhenden Falschwahrnehmungen über die Lebensrealitäten und gesetzlichen Anforderungen von sehr vielfältigen trans* Menschen. Die Menschenrechtsverletzungen, die Absurditäten, die lebensunpraktischen Hindernisse des augenblicklich bestehenden medico-juridischen Systems nicht Betroffenen zu erklären, ist da komplex oft nicht leicht und braucht Zeit. Ich war selbst 2009 an den Beratungen einzelner Mitglieder des Deutschen Bundestages beteiligt und weiss, wie mühsam und letztlich erfolglos es war, das Phänomen „Transsexualität“ zu erklären, Vorurteile zu beseitigen und Unterstützung einzuwerben.
Zwar hat sich seit Mitte der 2000er Jahre mittlerweile eine lebendige, bunte, vielfältige Trans*-Community herausgebildet, die jedoch immer noch weitgehend ohne Förderung, unvernetzt und ohne die notwendigen politischen Kanäle zu fast 100 Prozent ehrenamtlich arbeitet. Ihr Einfluss auf schwul-lesbische Lobbyverbände ist gering, sie sind dort marginalisiert, wenn überhaupt vertreten. Bis dato haben sich die (oft nicht minder transphob argumentierende) schwul-lesbische Community und ihre parteiinternen Gruppen um das TSG herumgedrückt. Trans*-Menschen und ihre Forderungen (z.B. http://www.tsgreform.de/) wurden nicht gehört. Es gibt zu wenig nicht-medizinische Forschung, die empirisch und betroffenenkontrolliert über das Thema informiert. Die Trans*-Community selbst ist zwar äußerst engagiert und aktiv, aber zu schwach und unterfördert, um eigenverantwortliche Forschung oder Aufklärungsarbeit im großen Stil zu machen. Sie verfügt (noch) nicht über die wichtigen Kanäle zu den Entscheidungsträger_innen in Politik und Gesellschaft (besonders Medien), um ihre Anliegen klar zu kommunizieren. Immer noch werden v.a. Mediziner_innen als Expert_innen betrachtet, statt nicht-pathologisierenden Trans*-Menschen Gehör zu schenken, die selbst, Forscher_innen, Jurist_innen, Aktivist_innen mit entsprechendem, nicht nur biographischem, Erfahrungsschatz sind. Solche Wissenshierarchisierungen und Anhörungspraxen müssen aufhören. Die Trans*-Community braucht daher zuvorderst eine eigene Stimme - etwa durch die strukturelle und nachhaltige Finanzierung eines Dachverbands, der ihre Interessen gebündelt vertritt. Nur ein solcher Verband kann auch den Dialog nach innen führen, um zu einer gemeinsamen Stimme zu finden. Dann können gezielt und strategisch (statt viele kleine einzelne Vereine, die ihre Partikularinteressen verfolgen) solche Kanäle in Politik und Verwaltung eröffnet und nachhaltig genutzt werden (statt punktuellem Aktivismus wann immer mal ein bißchen Freizeit und Energie zur Verfügung steht). Zugleich braucht die Trans*-Bewegung starke Allianzen mit gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Partner_innen aller Art: Parteien, Gewerkschaften, schwul-lesbischen Vereinen, Arbeitgeberverbänden, Medien. Sie müssen mit Wissen versorgt werden, um an einem Strang ziehen zu können. Zuletzt braucht sie verantwortliche und informierte Akteure in der Verwaltung selbst und bei den politischen Parteien, die Gesetzentwürfe ausarbeiten. Ein Beispiel solch guter Praxis ist der TSG-Gesetzentwurf der Grünen, der in der letzten Legislaturperiode eingebracht wurde. Er ist in enger Abstimmung und Zusammenarbeit mit Trans*-Organisationen, wie bspw. TransInterQueer e.V. entstanden, und spiegelte deren Forderungen wieder. Auch die größeren Parteien sollten beim Thema TSG parteipolitisch zurückstecken und zum Wohl von Trans* endlich Menschenrechtskonformität und ein modernes, zeitgemäßes Gesetz erstellen. Das verstaubte TSG ist im Deutschland der 70er Jahre entstanden. Es braucht eine von Trans* selbst-/mitbestimmte grundständige Novellierung, die es an die veränderten gesellschaftlichen Realitäten und wissenschaftlichen Erkenntnisse des neuen Jahrtausends anpasst.